Cortison gefürchteter Freund

Berechtigte Ablehnung oder unbegründetes Vorurteil?

Das Problem ist augenscheinlich: Das 12-jährige Mädchen – und mit ihm seine Familie – ist stark beeinträchtigt. Bei schönem Spätsommerwetter traut es sich nicht aus der Wohnung. Kontakte zu Freunden und Gleichaltriegen werden gemieden. Zu allem Unheil hat jetzt wieder die Schule begonnen, die selbstgewollte Isolation muss stundenweise und wiederstrebend aufgegeben werden. Kein Gedanke einer Teilnahme am Sport, an Ausflügen, an sommerlichen Aktivitäten. Starke Rötung und Schwellung der Haut. Rissigkeit, Juckreiz, verschwollene Augen, behinderte Nasenatmung und pfeifende Luftnot sind offensichtliche Gründe hierfür.

Die medizinische Ursache ist identifiziert, eine Allergie liegt vor mit Asthma, Neurodermitis und Heuschnupfen.

Im ärztlichen Gespräch – gemeinsam mit der Patientin und den Eltern – stellt sich sofort die Frage nach einer wirksamen Therapie. Alle Aspekte werden erörtert, als Teil des Behandlungsplanes fällt schließlich das Stichwort CORTISON. …….. Betretenes Schweigen zunächst, dann die gepresste Äußerung „Cortison ist doch Gift“, „das ist doch gefährlich“, „da kommt unsere Tochter nie wieder von weg“, „soll sie denn aussehen wie ein Pfannkuchen ?“, da wäre doch eine „natürliche“ Therapie, viel wünschenswerter, „nicht so scharf“. Ohne es auszusprechen werden bei den Eltern gedanklich Alternativen erwogen: „Da wollen wir doch erst einmal den Heilpraktiker ranlassen“.

Vorbehalte und Halbwissen über Cortison sind weit verbreitet. Doch welche sind die Fakten ?

Therapie mit natürlichen Mitteln und Cortison:

Cortison ist ein lebenswichtiges Hormon, welches in unserer Nebennierenrinde produziert wird. Etwa 25 mg Kortisol produzieren und benötigen wir Tag für Tag, bis in das hohe Alter. Ohne diese Fähigkeit könnten wir nicht leben. Somit ist Cortison eine Substanz der Natur. (Es ist ohnehin aus vielen Gründen, die hier nicht detailliert erörtert werden können, falsch, die Produkte aus der Natur gleich „gut“ und die Produkte aus der Pharmazie / Chemie gleich „schlecht“ zu setzen.)

Warum wird Cortison als Medikament angewendet ?

Abgesehen von den seltenen Zuständen eines chronischen Nebennierenrindenversagens verwendet die Medizin Cortison wegen seiner hoch wirksamen antientzündlichen Eigenschaften.

Was bedeutet antientzündliche Eigenschaft ?

Entzündung ist die Abwehrreaktion des Organismus gegen schädigende Einflüsse. Rötung, Schwellung, Überwärmung, Schmerzen und behinderte Funktion des betroffenen Organs sind die Merkmale der Entzündung. Einige Entzündungen sind durch Erreger (Bakterien, Vieren, Parasiten z.B. Malaria) verursacht. Hier helfen meist Antibiotika.

Viele Entzündungen sind jedoch nicht durch Erreger verursacht, sondern durch eine Immunreaktion. Hier versagen Antibiotika. Richtet sich die – übersteigerte – Immunabwehr gegen Umweltsubstanzen, so liegt oft eine Allergie vor. Richtet sich die – übersteigerte – Immunabwehr gegen körpereigene Substanzen, so sprechen wir von „Autoimmunerkrankungen“, z.B. Rheuma. Eine sehr große Zahl von Erkrankungen aller Körperorgane gehören zu dieser letzteren Gruppe. Bei Erkrankungen, die durch eine – meist übersteigerte Immunreaktion – entzündliche Organschäden auslösen, wirkt Cortison. Dies wurde 1948 erstmals bei einer Patientin mit schwerem Rheuma entdeckt und 1950 mit dem Nobelpreis für Medizin gewürdigt. 50 Jahre kennen wir somit die antientzündliche Wirkung des Cortison. Nach wie vor ist es diesbezüglich die bei weitem wirksamste Substanz und kann nicht durch andere Stoffe ersetzt werden.

In welchen Formen wird Cortison angewendet ?

Cortison gibt es in verschiedenen chemischen Variationen, auf die hier nicht eingegangen werden muss. Man verwendet es als Spritze, Tablette, Salbe, Tinktur, Augentropfen, Zäpfchen, Inhalationsspray oder Inhalationspulver für Nase und Bronchien. Als Spritze, Zäpfchen oder Tablette gegeben, erreicht Cortison alle Körperzellen, in den anderen Darreichungsformen nur die Regionen, die gezielt erreicht werden sollen. Bei gezielter Anwendung kann man mit deutlich niedrigeren Dosierungen auskommen.

Einmal Cortison … Immer Cortison, „da kommt man ja nie wieder von weg“:

So ist die Aussage falsch. Die Dauer der Therapie hängt doch von der Grundkrankheit ab. Es gibt zweifellos Krankheiten, die als derzeit nicht heilbar einer chronischen Therapie mit Cortison bedürfen. Sehr viele Krankheiten und Störungen sind hingegen zeitlich begrenzt, man kann Cortison reduzieren und absetzen.

Besonders gefürchtet … Cortison Nebenwirkungen (unerwünschte Wirkungen):

Dies ist die verständliche und entschiedene Sorge.

Deshalb hierzu eine klare Aussage: Bei kurzzeitiger Cortisongabe (Dauer einige Tage bis 1-2 Wochen) gibt es keine Nebenwirkungen. Man kann Cortison kurzzeitig nie überdosieren ! Man kann sich nicht an Cortison „vergiften“ ! Bei länger dauernder Anwendung (meist in Tablettenform) hängt die Cortison Nebenwirkung von der Dosierung ab.

Nebenwirkungen können sich am Magen, an der Haut, dem Stoffwechsel – besonders – dem Blutzucker, am Kreislauf (Hochdruck), an den Augen (Star) und an anderen Stellen auswirken. Hier müssen die Gefährdung und Behinderung durch die unbehandelte Grunderkrankung gegen die Nebenwirkung des Cortisons abgewogen werden. Bei schweren und gefährlichen Leiden stellt sich oft keine andere Wahl. Man kann durch begleitende Maßnahmen aber viele der Nebenwirkungen mildern oder aufheben (z.B. Schutztherapie für den Magen, für Diabetiker, für den hohen Blutdruck, Osteoporose Vorbeugung).

Cortison bei allergischen Erkrankungen wie Asthma, Heuschnupfen:

Wie können wir im eingangs geschilderten Fall des verzweifelten 12-jährigen Mädchens die Therapie gestalten ?

Zur Durchbrechung der akuten allergisch-entzündlichen Reaktion würde man einige Tage (neben anderen Maßnahmen) Cortison Tabletten einnehmen, meist kommen wir mit einer mittleren, dann bald niedrigen Dosis gut zurecht. Zugleich sollte das Mädchen Cortison als Inhalationsspray (oder Pulver) lokal für die Nase und das Bronchialsystem inhalieren. Mit dieser Lokaltherapie haben wir eine sehr effektive Möglichkeit, die dort ablaufende Entzündung zu beherrschen.

Die lokale Anwendung inhalativer Cortison Präparate ist seit etwa 1968 in der Medizin eingeführt. Wir haben eine große Therapiesicherheit hierdurch, da

  1. die erforderliche Dosierung sehr niedrig gehalten werden kann und
  2. die spezielle Struktur dieses Cortisons praktisch ausschließlich auf der Schleimhaut wirksam ist und nicht in den Organismus aufgenommen wird.

Es ist Stand des Wissens, dass Patienten mit allergischen Erkrankungen der Atemwege bei gegebener Notwendigkeit damit auch jahrelang behandelt werden können, dies gilt auch für Kinder in jedem Lebensalter.

Abschließend eine etwas überraschende Frage: Ist ein moderner und flotter Sportwagen gefährlich ?

Natürlich nicht, wenn man sachgerecht mit ihm fährt. Die moderne Cortisontherapie ist effektiv, hilfreich und sicher, man muss nur richtig damit umgehen.

Diesen Artikel verdanken wir meinem Freund und Lehrer

Dr. Rolf F. Kroidl

Pneumologe und Allergologe

Stade